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Mirror Images und Imaginäres Museum
Notizen zum künstlerischen Werk von KH Stufft (Karl-Heinz Stufft-Fischer)
von Jürgen Raap
In der klassischen akademischen Malerei galt einst das Dogma, ein Bild böte seinen Betrachtern immer die Anschauung mindestens einer Form und von zwei Farben, und sei es nur ein Hell- und Dunkel-Kontrast, z.B. in einer Grisaille-Malerei. Seit jedoch der Kunstkritiker Michel Tapié 1951 alle modernen malerischen Varianten einer nicht-geometrischen Abstraktion unter dem Schlagwort „Informel“ zusammen fasste, ist es legitim, dass Maler wie Rupprecht Geiger (1908-2009) in der Farbe einen autonomen Wert sehen, der keinerlei semiotische Bedeutung mehr haben muss, sondern von einer Form völlig losgelöst ist, und gerade dadurch erst seine geistige und energetische Kraft zur Geltung bringt. Auch Gerhard Hoehme (1920-1989) wollte Bildräume „ohne illusionistische Tiefe“ visualisieren, und in seinem Manifest „Relationen“ (1968) definierte er „nicht-abbildende Bilder“ als Über- setzungen von visuellen Lebenserfahrungen“.
Denn mit der Durchsetzung der Fotografie im Alltag und in der Kunst konnten Maler wie Geiger und Hoehme, und dann ebenfalls ihre Schüler (bei beiden studierte auch Stufft-Fischer) an der Düsseldorfer Kunstakademie in den 1960er und 1970er Jahren die tradierte Abbildfunktion von Kunstwerken negieren und sich völlig neuen Strategien der Bildfindung widmen. In der digitalen Malerei von Karl-Heinz Stufft-Fischer, wie sie ab 2015 entsteht, rekurriert diese Bildfindung auf das Internet, oder er nimmt einen ikonografischen Rückgriff auf eigene, frühere Arbeiten vor, was je- doch keineswegs als „Remake“ im Sinne einer Neuinszenierung missverstanden werden sollte und erst recht nicht im Sinne von „Recycling“.
Schon als Max Ernst vor 100 Jahren für seine Collagen alte Kupferstiche aus dem 19. Jh. als Ausgangsmaterial nahm, spielte deren sozio-kulturelle Herkunft aus Illu- strationen trivialer Kolportageromane ästhetisch keine Rolle mehr für eine neuartige künstlerische Kombinatorik. Bei der Beliebigkeit der heute inflationär verbreiteten Medienbilder stoßen Künstler wie Stufft-Fischer bei Recherchen im Internet in noch weitaus größerem Maße auf ein ikonologisch entgrenztes Bildinventar mit einer völlig offenen künstlerischen Deutungsmöglichkeit. In diesem Kontext das Collage-Prinzip von Max Ernst zu erwähnen, halte ich insofern für naheliegend, weil die collagierende Konstruktion neuer Wirklichkeiten aus vor- gefundenem Material sehr typisch für die Kunst in der Epoche der Moderne ist, und weil sie dann von dort bis in unsere Gegenwart der Photoshop-Programme und ähnlicher Software für PCs weiterwirkt.
Das Internet verändert natürlich nicht die physische Realität, wohl aber beeinflusst es sehr eindringlich unser heutiges Verständnis von Realität, und zwar nicht nur da, wo unsere aktuelle Zeitstimmung als „post-faktisch“ beschrieben wird: das Internet generiert als Output eigene, virtuelle Wirklichkeiten – und diese virtuellen Wirk- lichkeiten bieten einem Künstler des 21. Jh. dann objets trouvés in ähnlicher Weise wie früher den Künstlern des 20. Jh. – etwa den Vertretern des Nouveau Réalisme um 1960 – die Flohmärkte oder Schrottplätze der physischen Welt: Für vergleich- bare zeitgemäße künstlerische Strategien ist heute gewiss auch das Internet ein solcher Ablageplatz. Aus Sicht eines hierfür sensiblen Künstlers findet sich hier eine Unendlichkeit von herausfordernden Motiven abgelagert, die dann, vergleichbar den Samplings in der Musik, die Möglichkeit bieten, über die Zusammenstellung digital gespeicherter Aufnahmen und deren kreative Umsetzung ein vollständig neues Werk zu schaffen, das seine Ausdruckskraft ohne eine sentimentale Bindung des Künstlers an das Ausgangsmaterial gewinnt.
Wenn Stufft-Fischer seine Arbeiten als „mirror images“ bezeichnet, dann geschieht dies im Wissen, dass die Vokabel „virtuell“ sich nicht nur auf den Bereich der Informatik beschränkt, weil ja gerade auch in der Kunstgeschichte das Spiegelbild seit Jahrhunderten nicht nur eine reine Angelegenheit der physikalischen Optik ist. Die Spiegelung ist zwar durchaus ein Bestandteil der wahrnehmbaren Welt, aber sie ist dennoch nicht mit der ontologischen Wirklichkeit der realen Objekte identisch.
Sehr deutlich demonstriert Stufft-Fischer dies z.B. an jenem Bild, bei dem er aus realen Fotos den Mittelteil eines Triptychons collagiert, der wie die Luftaufnahme einer Siedlung wirkt, wobei die Windungen der Straßenverläufe sich dann im roten, abstrakten rechten Teil wiederfinden mit seinen daktyloskopisch anmutenden Strukturen: Wenn der Künstler solchermaßen in diesem Triptychon ein Span- nungsfeld zwischen Figuration und Abstraktion konstruiert, innerhalb dessen konkret Ausdeutbares und rein Strukturelles miteinander korrespondieren, und er dabei sehr genau darauf achtet, dass die ursprünglichen fotografischen Bilddatei- en als ein wichtiges Element der Bildwirkung formal noch erkennbar bleiben, dann können die Betrachter nachvollziehen, wie etwas aus der analogen Welt Vertrautes bzw. aus der medialen Welt Bekanntes sich in diesen Bildern widerzuspiegeln ver- mag, aber eben nicht in einem affirmativen Sinne einer 1:1-Übernahme wie in der Pop Art oder gar der Appropriation Art.
Wer einmal in den trivialen Labyrinth-Kabinetten von Rummelplätzen erlebt hat, wie dort Konkav- und Konvex-Spiegel die Realität verzerren, vergrößern, verkleinern, auseinanderdehnen oder zusammenpressen, der begreift, dass auch ein solches künstlerisches „mirror image“ nichts (mehr) abbildet, sondern einen eigenen philosophisch-intellektuellen Kosmos visualisiert. Was in diesem Sinne den philosophischen Hintergrund der „mirror images“ angeht, so könnte man auf jene Passagen im „Tractatus logico-philosophicus“ (1918/1922) von Ludwig Wittgen-stein verweisen, in denen dieser es ablehnt, dem Spiegelbild eine „getreue Ähn- lichkeit“ mit der gespiegelten Welt zuzusprechen. Wittgenstein sieht stattdessen in der Spiegelung eher eine isomorph-symbolische bzw. strukturelle Ähnlichkeit.
Die Potenzierung von projizierten Bildern in den Spiegelkabinetten der 350 Jahre alten Barock-Paläste hat ihre Entsprechung in der Potenzierung der Datenmengen im heutigen digitalen Zeitalter. Wenn sich Stufft-Fischer aus dem Internet an Bildern bedient, dann stößt er dabei auf ein sehr weites Feld mit empirisch-naturwissenschaftlichen Bildgebungsverfahren (z. B. die Ultraschallaufnahme eines Embryros), wie auch auf bildjournalistisches Material (z.B. mit Aufnahmen vom Syrien-Krieg) und auf Motive, die sich mythisch bzw. mythologisch ausdeuten lassen. Die Ausstattung barocker Paläste mit Spiegeln sollte seinerzeit die äussere visuelle Pracht illusionistisch steigern, aber zugleich spielt hier immer noch eine urtümliche Bildmagie eine tragende Rolle. Ganz in diesem Sinne ist sich Stufft-Fischer bei seinen „mirror images“ der suggestiven, d.h. quasi-magischen – oder anders ausgedrückt – der spirituellen Kraft der Bilder, die er erstellt, durchaus bewusst.
Wie schon bemerkt, die künstlerische Konstruktion neuer Wirklichkeiten aus vorgefundenem Material ist charakteristisch für die Moderne und so verfährt auch Stufft-Fischer bei der Generierung seiner Bilder, wobei zu beobachten ist, dass er fast generell eine Komplexität, was Bildwirkung und Bildbedeutung angeht, anstrebt, die eine eindeutige Lesbarkeit des Bildgeschehens ausschließt – so z.B. in jener dreiteiligen Arbeit, bei der man einen horizontal angelegten roten Farbstreifen als Widerschein eines Sonnenaufgangs oder -untergangs und die dunkel-blauen und blau-violetten Partien als Wolkenschleier und damit als konkrete Landschaft interpretieren kann: Das Rot zieht sich streifig durch einen sattblauen Himmel, wie man ihn bei der nautischen Dämmerung erlebt, wenn die Sonne zwischen sechs und zwölf Grad unter dem Horizont liegt. Der Bildbetrachter unterliegt dem Eindruck, der rote Lichtschein setze sich horizontal in das Bild daneben fort. Da aber in Wirklichkeit das mittlere Bild tatsächlich ein vergrößerter Ausschnitt aus der linken Tafel ist, mithin im gesamten Triptychon eben kein Himmel in einer naturalistisch-romantischen Manier dargeboten wird, ist es aber letztlich doch zumindest auch eine abstrakte Bilderserie: Blau und Rot sind hier eben nicht nur als farblicher Ausdruck von Atmosphäre zu begreifen, sondern wie eingangs beschrieben als „Farbe an sich“.
In solch einer Bildproduktion vermag sich mithin aus analogen Bildern Vertrautes durchaus im Digitalen widerzuspiegeln, ohne lediglich eine Übersetzung zu sein, wie ich es oben schon angedeutet habe. Weil hier, anders als in der Malerei, kein Pinselduktus die Aura des Bildes determiniert, benennt Stufft-Fischer sein Tun anstelle von digitaler Malerei lieber mit dem Etikett „Bildermachen“ . Als „Bilder- macher“, wie er sich selbst gern nennt, muss er sich konsequenterweise dann auch nicht auf jene malerischen Manöver einlassen wie z.B. seinerzeit Roy Lichtenstein, der in seinen gemalten Vergrößerungen von Comic-Bildern die Rasterpunkte des Drucks mit der Hand oder mit Schablonen malte und somit eine durch die Drucktechnik hervorgerufene Ästhetik in der Malerei lediglich imitierte bzw. simulierte.
Dass die Pioniere der Videokunst in den 1970er Jahren ihr Schaffen als „Malerei mit der Kamera“ definierten, wird heute in der Kunstwissenschaft vielfach als ein Missverständnis eingestuft. Somit stellt auch die in unseren Tagen allgemein gängige Beschreibung von digitaler Malerei als „Zeichnen am PC oder PC-Malerei“ eine mehr als fragwürdige Betitelung dar.
Einen motivischen Fundus aus dem Internet oder aus dem eigenen malerischen Frühwerk in neue, rein digitale Kunstwerke zu überführen, die unabhängig von ihrem technischen Herstellungsverfahren als „Bildermachen“ und trotz der diffe- renzierenden Einschätzung des Künstlers dennoch als malereianalog zu verstehen sind, ließe sich als eine „Verkörperung“ dieser Virtualität beschreiben. Man mag dabei auch wieder an Gerhard Hoehmes räumliche Erweiterungen des Bildes in Bereiche denken, in denen in sehr starkem Maße die (Rück)-Besinnung auf eine „Leiblichkeit“, auch auf die Raumerfahrungen in archaischen Kulturen, und ebenso auf Mythisches eine determinierende Rolle spielen. Auch eine frühe, noch traditionell gemalte Werkreihe Stufft Fischers, bei der das Motiv des Tempels im Mittelpunkt steht, läßt ein Interesse an mythischer Welterfahrung erkennen, ent- stand allerdings seinerzeit noch ausschließlich aus der Fantasie.
Dennoch sind die heutigen „Mirror Images“ durchaus von jenen künstlerischen Strategien her zu verstehen, die bereits das Frühwerk von Stufft-Fischer prägten: zwischen 1987 und ca. 1998 entstand – noch als Malerei mit Amphibolinfarben – ein Konvolut von Arbeiten, welches schon als Serie angelegt war. Ebenso nahm er hier mit der Wahl des immer gleichen Formats das Prinzip vorweg, welches ihn später in seiner digitalen Malerei gleichformatige Einzelbilder in Werkgruppen zu- sammenfassen ließ.
Fast alle diese frühen Bilder sind durchweg nur in Schwarz-Weiß angelegt, d.h. auch hier ging es schon nicht mehr um den rein stofflichen Umgang mit (bunter) Farbe, sondern vielmehr um eine „Bekundung innerer Zustände“, wie Emil Schumacher dies einmal in anderem Zusammenhang nannte. Aber gerade in der Reduziertheit der Palette hat die Farbe auch in diesen frühen Arbeiten eine konzeptionelle Dimension.
Wer diese frühen Arbeiten kennt, ist nicht erstaunt zu sehen, wie die monogra- fische Werkentwicklung innerhalb jener großen digitalen Arbeiten ab 2019 in eine als „work in progress“ angelegte Serie „Imaginäres Museum“ mündet. Sie umfasst ikonografisch und in der farblich akzentuierten Bildstimmung völlig unterschiedliche Tableaux: ein dreiteiliges Schwarz-Weiß-Konvolut z.B. hat einen narrativen Cha- rakter, denn man sieht rechts einen Obdachlosen, der in einen Absperrkegel, wie man ihn auf der Straße aufstellt, hineinbläst wie in ein Musikinstrument. Das Motiv lässt zugleich Assoziationen zu Bildern von Max Beckmann zu: in dessen „Großes Fisch-Stillleben“ (1927) z.B. dominiert ein großer blauer Trichter das Bild, durch dessen Öffnung der Betrachter in eine unbestimmbare schwarze Tiefe hinein blickt, und im „Stillleben mit Saxophon“ (1926) wird eine Puppe durch eine trichter- förmige Tröte nahezu erdrückt.
Einen allegorischen Charakter wie bei Beckmann mag man auch dieser Arbeit von Stufft-Fischer attestieren, denn die Figur im Bildraum verweist bei beiden Künstlern auf eine conditio humana, auf die Existenz des modernen Menschen. Der Mittelteil dieses Triptychons zeigt alsdann eine Auflösung der kubischen Grundkonstruktion eines Raumes ins Abstrakte – die tektonische Dimension ist in der Verschwom- menheit nur noch zu ahnen; ins Auge fallen eigentlich nur noch helle, diffuse Lichtpunkte. Im linken Teil des Triptychons sind die Finger einer Hand mit einem Aquarell kombiniert, das etwa zwei Jahrzehnte zuvor entstand, und welches hier in der digitalen Bearbeitung gründlich verfremdet wird. Aber erst in dieser formalen Verfremdung erreicht der Künstler eine formalästhetische Einheit in der Erzählung des gesamten Triptychons.
Das Leitmotiv „Imaginary Museum“ zielt auf eine Inszenierung der Bilder nicht einfach nur an der Wand, denn letztlich geht es hier um die Simulation der räumlichen Wirkung in einem musealen oder zumindest auratisch bedeutsamen Kontext. Das kann man durchaus mit Mark Rothkos Vorstellung von idealen Präsentationsbedingungen vergleichen, die er seinerzeit aus dem Erlebnis der Mönchszellen in einem florentinischen Kloster entwickelte und dann in seiner „Rothko-Kapelle“ in Texas realisierte – mit der Anweisung, in diesem Medita- tionsraum für seine Farbfeldmalerei sollten die Bilder nur einzeln gezeigt werden, und keinesfalls in einer traditionellen sakralen Hängung mit dem oberen Drittel oberhalb der Augenhöhe des Betrachters, der dann quasi zu dem Werk aufschauen muss, sondern bewusst tiefer gehängt.
In einer Ausstellungsrezension schrieb Alexander Kluy einmal, Rothko habe bei seiner „metaphysischen Umwandlung des profanen Museumsraumes“ eine „Aufhebung von Betrachter und Bild“ angestrebt. Wie wirkungsvoll auch Stufft-Fischer in diesem Sinne das Raumerlebnis inszeniert, sei es bei den Tableaux des „Imaginären Museums“ oder auch bei der umfangreicheren digitalen Bilderserie, die sich zwischen zweifach- und vierfach-Polyptychen bewegt, verdeutlicht u.a. jene Viererkombination mit ziselierartigen Feinstrukturen, wo eine Gruppe von Karrees aus größerer Distanz signalhaft starkfarbig wirkt und aus dem Bildgrund heraus zu treten scheint. Bei naher Betrachtung weisen diese freilich eine Detailschärfe auf, welche auf den Möglichkeiten der digitalen Drucktechnik beruht, und die der Künstler in dieser Differenziertheit mit flüssiger Farbe und Pinsel solchermaßen nur mit höchster Arbeitsdisziplin und enormem Zeitaufwand hätte erreichen können.
Wichtig, im Sinne dieser Idee eines „imaginären Museums“, ist jedoch, dass der Betrachter die Möglichkeit besitzt, an diese Bilder näher heran und dann auch wieder ein paar Schritte weit davon wegtreten zu können, um das gerade Beschriebene nachvollziehen zu können. Letztlich beweist dies: eine Abbildung im Katalog oder im Internet ersetzt nur bedingt die Anschauung des Originals im Atelier oder in einer Ausstellung.
Ende 2018 entstanden Arbeiten, die sich mit dem Thema „Paradies“ beschäftigen, was ja insofern ein gewagtes Thema ist, als dieses kunsthistorisch nun doch einen Ballast darstellt, der sich zwischen den Polen extremer Idyllisierung hier und strenger Ideologisierung dort erstreckt: im Mittelalter stellten sich die Maler das Paradies oft als einen üppig wuchernden Garten mit exotischen, aber völlig friedlichen Tieren vor, d.h. als eine eher verklärte materielle Welt, die kein irdisches Leiden (mehr) kennt – als Gegenentwurf zu dem kargen, entbehrungsreichen Leben, das der Durchschnittsmensch im Mittelalter mit all seinen Plagen, Hungersnöten und Krankheitsepidemien auf sich nehmen musste. Andere Künstler entwickelten hingegen Visionen von einem wiedergewonnenen Paradies der Endzeit oder in der Ewigkeit, in dem die göttliche Verdammnis zur Arbeit überwunden ist. Ein profaner Antrieb, das verlorene Paradies schon im Irdischen wieder zu erlangen, mündet in sämtliche Bemühungen in der Geschichte der Zivilisation, durch ideologische Programme oder technischen Fortschritt diesem Ideal näher zu kommen.
Indem Stufft-Fischer in diesen Bildern ein sehr komplexes Männer- und vor allem auch Frauenbild ausformuliert, vermeidet er letztlich jegliche Ideologisierung und weicht dabei eben auch dem erwähnten theologie- und kunsthistorisch aufge- blähten Ballast aus, und dies auch da, wo er z.B. Fotomaterial aus dem Syrien-Krieg als Chiffre für eine maskuline Aggressivität aufgreift. Natürlich sind in diesem Zyklus Motive von Kriegszerstörung oder syrischen Flüchtlingen per se eindeutig politische Bilder, und mit den soziologischen Implikationen, die in diese Bildwelt hineinspielen, ist es dann erst recht eine politische oder gesellschaftsbezogene Kunst, dies allerdings nicht in einem plakativ-agitatorischen Sinne: Sie bietet dem Betrachter eine Anschauung von der Welt, die weitreichender ist als der kognitiv und ideologisch verengte Begriff der Weltanschauung.
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Der Meister der jüngsten Dreifaltigkeit
Zu den mehrteiligen Bildwerken von KH Stufft (Karl-Heinz Stufft-Fischer)
Dr. Goedart Palm
Das Triptychon brachte vormals die festgefügte Ordnung der göttlichen Schöpfung in der elementaren Aufteilung des dreifaltigen Raumes zur Anschauung. In der Mitte die kanonischen biblischen Szenen, an den Seiten die Stifter und geringeren Heiligen. Alles ordnet sich in einer geschlossenen Welt im wahrsten Sinne des Wortes, da die Bildtafeln zusammengeklappt werden konnten und wie der Genter Altar dann nur zu hohen Festtagen den Gläubigen geöffnet wurden. Andacht, die der Religion wie auch der Kunst, reflektierte den staunenden Zeitgenossen die heili-gen Szenen zum ästhetischen Wohlgefallen und zur Förderung des Seelenheils. Das Kunsterleben verschränkte sich mit der Frömmigkeit, die Betrachtung der Ewigkeit war ein kostbarer Moment der Kontemplation, in dem die göttliche Vollkom- menheit zur Aisthesis wurde.
Das Triptychon war nicht nur bei Hieronymus Bosch die religiöse, moralische und künstlerische Ineinssetzung der ganzen Welt, Himmel, Erde, Hölle. In der Moderne wechselt die Bildlogik zu einer egalitären demokratischen Anordnung, in der die Einzelteile in einem neuen Beziehungskosmos stehen, ohne noch länger höhere, hierarchisierte Ordnungen zu repräsentieren. Francis Bacons “Three Studies of George Dyer” realisierte den Vorteil des Triptychons, ein Gesicht in drei Ansichten zu präsentieren, also den an das Tafelbild gebundenen Beobachterstandpunkt zu vervielfachen – weil die Welt mehr ist, als es eine einzige Beobachtung begreifen könnte. Die Aufteilung des Blicks in die Multiperspektive macht das Mehrbild zu einem reflexiven Bildarrangement. Bill Violas berühmtes Nantes Triptych ist anders als Bacons Emanzipation gegenüber dem statischen Raum ein Zeitbild, eine Reise zwischen Geburt und Tod, die auch der Betrachter zu absolvieren hat. Zugleich präsentiert das Triptychon eine narrative Ordnung, es folgt der sukzessiven Lektüre von links nach rechts und wieder zurück. Als Prä- und Konkurrenzmedium des Films ist es der Versuch, die ewige Statik der musealen Bilder zugunsten einer Sukzession der Bilder aufzugeben. Das Triptychon eröffnet eine reflexive Tiefe, in der mehrere Bildräume miteinander konkurrieren, sich abgrenzen, sich wechselseitig verweigern oder aber in Beziehung setzen, kommunizieren und produktiv einen Metabildraum schaffen, der sich in der Imagination des Betrachters zu einem offenen Kunstwerk entfaltet.
Das moderne oder spätmoderne Triptychon hat nicht mehr die fest gefügte Welt, die sakrale Ordnung des Mittelalters im Blick. Das Triptychon nimmt bei Bill Viola die zentrale Kategorie des Films, die Montage, auf, um diesen Moment des Schocks, der im Film als irreversible Bilderfolge realisiert wird, synchron sichtbar zu machen. Der Künstler entscheidet, was zu synchronisieren, also zu schöpfen ist. Diese Bilder sind schön in dem Sinne, wie es Lautréamont paradigmatisch, mit der überlieferten Tradition brechend, formuliert hat, wie wenn ein Regenschirm und eine Nähma- schine auf einem Sektionstisch aufeinandertreffen (“beau comme la rencontre fortuite sur une table de dissection d’une machine à coudre et d’un parapluie”). Das, was weiland die surreale Erfahrung par excellence war, der Schock der Begegnung, ist heute medialer Alltag geworden. Wenn je die gegenwärtigen Bildwelten zu charakterisieren sind, erleben wir disparate Topografien medialer Unwahrscheinlichkeiten, wo zusammenwächst, was scheinbar nicht zusammen- gehört. Wenn es ein ästhetisches Signum der gegenwärtigen Zeiten gibt, liegt es darin, dass sich vormalige Kategorien der Bildordnung auflösen und Zumutungen der Komposition begründen, die sich auf keine Tradition oder gar kirchliche Lehr- meinung zulässiger Bildfindungen verlassen kann. Das Private und das Öffentliche sind in hypermedialen Zeiten weder im Meer der Meinungen noch in den Bild- räumen noch länger sinnvoll abzugrenzen. In der Geschichte von Henry James wird das untergründige „Muster im Teppich“ nie aufgedeckt, von dem man lediglich weiß, dass es existiert. Es gibt eine enigmatische, nur Göttern zugängliche Struktur, es gibt untergründige Verbindungen, denen keine Hermeneutik beikommt. Was die Welt im Innersten zusammenhält, ist so komplex konstruiert, dass Künstler es immer wieder wagen, Zusammenhänge herzustellen, die keiner uns bekannten Logik mehr folgen.
KH Stuffts “Orbis sensualium pictus” präsentiert uns Bildsequenzen, die einer transgressiven Narrationsweise folgen. Er operiert mit zahlreichen Bildtechniken, die in der Moderne zu einigem Ansehen gelangt sind. Es geht vordergründig um scharfe und unscharfe Formen, farbige und schwarzweiße Strukturen, Fotografie und Malerei, Bildzitate und vor allem Fundstücke aus dem überquellenden Medium “Internet”, die uns je provozieren, uns unseren Reim auf die ästhetisch wie semantisch “volatilen” Verhältnisse zu machen. In diesen Manifestationen finden wir keine gesicherten Aussagen, es geht um Zusammenhänge, die in der Alltagswahrnehmung, aber auch in der Wissenschaft unterschlagen werden. Ein Lavendelfeld, van Goghs Sternennacht und ein Stück Fleisch als rotweiße Muskel-Fett-Landschaft konstituieren eine ästhetische Verwandtschaft, die von der Allmacht des Künstlers zeugt, der sich nicht der Semantik der Substanzen
unterwirft, sondern die ästhetische Durchdringung aller Vorstellungen und Materien unter Beweis stellt. Der Künstler KH Stufft reklamiert eine exzessive Zuständigkeit für solche Beziehungen, die noch nicht endgültig formulierbar sind. Weil Kunst keine Wissenschaft ist, hat sie die Freiheit, auch solche Wahlver-wandtschaften zuzulassen, die keinem Periodensystem der äshetischen Elemente und keiner theoretisch explizierbaren Beziehung der Bilder folgen.
KH Stuffts Zyklen rezipieren Kunstgeschichte, wenn er immer wieder auf Bildlogiken anspielt, die in der Scheidung von Kompositionsprinzipien und Stilbegrifflichkeiten vormals keine Liaison eingehen durften. Er ist sich der Allgegenwart der Tradition bewusst, die bei ihm in den christlichen Motiven des Heilands oder der Madonna oder aber den ewigen Ikonen der Kunstgeschichte erscheint, um diesen festen Boden sofort in Frage zu stellen und scheinbar unvermittelt in den obszönen Schrecken der Gegenwart zu tauchen. Es ist nicht die Geschichte von Epochen und Stilen, sondern die Synchronizität von Bildkonzepten, die existenziellen Motiven und Anlässen folgen. Die scheinbar gesicherten Differenzierungen der Kunst- geschichte verlieren ihren Wert und müssen neu formuliert werden. Das Abstrakte ist nicht der Feind des Konkreten. Das isolierte “Objet trouvé” wird wieder in den Bildraum eingegliedert, um neue Irritationen zu eröffnen. Was haben Ufos mit Ureinwohnern zu tun? Täuscht die Oberfläche des leicht bewegten Meeres über die Tiefen der Beziehungen im ewigen Spiel der Elemente? Werden Menschen im Angesicht der Katastrophe zu Insekten, die schon in den Shopping-Malls gelernt haben zu verschwinden? Allpräsent ist bei KH Stufft der Schrecken der Bilder der Verfolgung, der Vernichtung, der die pastoralen Ruhepunkte seiner Sequenzen in immer neue Schwingungen versetzt. Wie unschuldig ist der bestirnte Himmel über uns oder das ruhig schillernde Meer, wenn die Judensterne das moralische Gesetz kantischer Provenienz nicht zur Ruhe kommen lassen?
Ohnehin ist dieser unbefriedete Bildkreis einer des unwahrscheinlichen Erscheinens und Verschwindens der Dinge, der unseren makrologisch konditionierten Blick in einen künstlerischen Teilchenbeschleuniger schickt. Jederzeit vermuten wir, dass auch andere Beziehungen möglich wären, wenn wir die Vielzahl von Räumen durchqueren, jederzeit im unhintergehbaren Wissen, dass ein schwereloser Weltaufenthalt auch in der Kunst eine Illusion ist. Bei Stufft gibt es zu lernen, dass die Selbstähnlichkeit der Welt nicht nur eine formale Erscheinung ist, wenn makroskopische und mikroskopische Objekte, hieratische Gewissheiten und nebulöse Landschaften oder Muskeloberflächen und Wolkenformationen ihre Verwandtschaft nachweisen und Horizonte verschmelzen, um die gesicherten Perspektiven von Weite und Nähe zu provozieren. Gertrude Stein müsste nicht nur neu formulieren: Eine Struktur ist eine Struktur ist eine Struktur. Mehr noch versteckt sich in der abstrakten Formverwandtschaft zugleich eine unheimliche Semantik der Ähnlichkeiten, der unabweisbaren Beziehungen etwa von Hitlers Posen und jener der Modellathleten, die das Erklärungsmodell von bloßen Zufällig- keiten nicht gelten lässt.
Jede Kunst, die das Geschäft der Mimesis ernst nimmt, ist zugleich Schöpfungskritik, weil sie die vorgefundenen Strukturen auf neue Möglichkeiten hin erprobt und Alternativentwürfe liefert, die im Zeitalter digitaler Möglichkeiten immer wahr- scheinlicher werden und auch realisiert werden können. Eine Schöpfung, die sich von ihren Ursprüngen entfernt und das Universum neu organisiert, war immer ein mächtiges Movens der Kunst, selbst noch in den vormaligen Idealisierungen der Schöpfung. Diese Differenzierung zwischen der dynamischen, heraklitschen Welt und den ewigen stillen Bildräumen ist in eine unaufhaltsame Bewegung geraten. Wir leben längst im Zeitalter der Virtualisierung einer Welt, die mit ständig neuen ästhetischen Versprechen auftritt. Bei KH Stufft sind zahlreiche Objekte in embryo- nalen Zuständen der Verformung, der Neubildung, der Entstehung – was einerseits auf die Konzeptualisierung von Kunst jenseits kanonischer Bildkonstrukte und andererseits auf den unabsehbaren Designcharakter von Welt verweist. Vormals hätten wir von einer Welt des Werdens gesprochen, die Friedrich Nietzsche so angelegen war, um die ewigen Ideen und ihren platonischen Realitätsanspruch, der so oft in die Irre führte, in Abrede zu stellen. Blätternder Mörtel einer schlecht verputzten Wand ist bei Stufft nur einen Steinwurf weit von der Mondoberfläche entfernt. So wie sich in den mittelalterlichen Weltgemälden die Kreatürlichkeit vom Panoramablick bis hin zur mikrologischen Schönheit einer Pflanzenwelt, die nicht weniger galt, erstreckt, gibt es keine akzidentellen Verhältnisse, die einem Bedeutungszentrum unterworfen werden. KH Stuffts Ikonografie ist eine dekon- struierte Bildreise, ähnlich wie in jenem berühmten Farbraumrausch in Stanley Kubricks monumentaler Filmschöpfungsgeschichte “2001”, in der die Geschwin- digkeit der Räume und Vielfalt der Farben bis hin zu jenem letzten Raum reicht, in dem der Astronaut ruht, um der evolutionären Neuschöpfung der Welt angesichtig zu werden.
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Im digitalen Spiegelkabinett
Karl-Heinz Stufft-Fischer
Das Internet stellt für mich, seit ich es für meine Arbeit entdeckt habe, den ent- scheidenden Ausgangspunkt dar, um eine Art von Bildern zu realisieren, wie ich sie wohl schon lange zuvor angestrebt habe. Ich meine damit zunächst mal die Möglichkeit, auf eine praktisch unendliche Menge von Bildern und zudem in einfachster Weise Zugriff zu haben. Ich steuere dabei Bildinhalte bzw. Bilddateien gezielt nach Eingabe bestimmter Begriffe an oder bewege mich auch, offen für Überraschungen, durch das Bilderangebot und speichere selektiv Bilddateien in einem stetig anwachsenden Bilderbestand ab, auf den ich beim Bildermachen zurückgreife. Den Begriff Bildermachen halte ich dabei für die zugleich simpelste und treffendste Bezeichnung für das, was ich mache , denn von Malerei kann man ja im Fall einer rein digitalen Art der Bilderzeugung nicht mehr sprechen, obwohl auch hierbei und sogar ständig malereiverwandte Sensibilitäten allermöglicher Art im Spiel sind. Seit ca. 2015 arbeite ich nur noch digital.
Den selektierten Bilderbestand nehme ich als selbsterzeugten Humus wahr, aus dem ich dann meine Bilder herauswachsen lasse. Was die fertigen Bilder angeht, betrachte ich die Noch-Erkennbarkeit der ursprünglichen fotografischen Bilddateien als ein wichtiges Element der Bildwirkung. Der Wegfall der malerischen Spuren- elemente – Faktur / Materialwirkungen vielfältiger Art / über Pinsel und Farbe vermittelten Stil – die man als Maler oder Genießer von Malerei natürlich hoch schätzt – erscheint mir bei meiner Arbeit schon lange kompensiert durch eine andere Art Qualität , nämlich die realitätsnahe Schärfe, die durch die beschriebene Restpräsenz des fotografischen Ausgangsbildes und und den rein synthetischen Bildherstellungsprozeß insgesamt in das fertige Bild eingeht – und ich empfinde sowohl diese Art der Bilderzeugung wie auch das Bildergebnis als spezifisch zeitgemäß. Durch die relative Nähe dieser Art der Bildgewinnung zur Malerei mag überhaupt die Frage nach der qualitativen Differenz zur Malerei aufkommen, aber substanziell stellt sich die Frage für mich nicht : diese, von mir praktizierte synthe- tische Form der Bilderstellung setzt im Vergleich zur Malerei schlicht auf ein anderes Wirkungsspektrum.
nochmals Stichwort: Bildermachen – das ist einfach, was mich interessiert – differenzierter: Meine Lust und mein Interesse beim Bildermachen geht entschieden in Richtung einer Hereinnahme von Realität – sichtbarer, objektiver Realität wie auch gefühlter, intuitiv erfahrener und reflektierter Realität. Stilisierung im Sinne einer persönlichen Stilinszenierung vermeide ich. Dem entspricht auch die von mir gewählte Umsetzungsstrategie, also das Medium Digitaldruck auf gleichbleibenden Trägern, was Material und Flächengrößen angeht. Die Serialität, das Gleichbleiben der Form bzw. der Präsentation der Bildinhalte läßt diese als das von Bild zu Bild einzig Neue stärker hervortreten. Mit dieser Art der Bild- präsentation bin ich wohl auch, was mir selbst erst nach einiger Zeit bewußt wurde, intuitiv der Neigung gefolgt die Bilderreihungen wie eine Reihe von Kirchenfenstern wirken zu lassen, welche den Betrachter zu einem andächtigen Blick einladen. Die entsprechend ruhig-besinnliche Wirkung strebe ich also bewußt an und diese steht für mich in einem die Betrachtung anregenden Spannungsverhältnis zu den mitunter drastischen und stark wechselnden Bildinhalten. Und darum geht es mir gerade: um die Inhalte – und zugleich um den neutralisierenden Betrachtungs- modus, der die Dramatik des einzelnen Bildinhalts im Ganzen wieder aufhebt. Was mich im Kern reizt, ist die Kreation von Bildern, die aus dem Panorama aktueller Bildpräsenzen geschöpft sind, in welches aber nach Belieben auch historisches und kunstgeschichtliches Bildmaterial hineinfindet.
Bildern eignet ja von jeher weniger eine bloße Abbildungsfunktion als vielmehr ei-ne Mitteilungs-, Deutungs- und Handlungssfunktion. Der Fokus bei meinen Bildern liegt so gesehn auf einer offenen Deutungsfunktion. Im Vergleich liegt zB. bei einer christlich-orthodoxen Ikone der Fokus auf einer Synthese aus Mitteilungs- und Handlungsfunktion. Andererseits besteht, was den Wirkungsmodus meiner Bilder angeht, zugleich auch eine Nähe zur Ikone – durch die latente Aufforderung zu einer sehr reflexiv behafteten bis kontemplativen Betrachtung. Der Unterschied besteht wiederum im Fehlen eines vorherrschenden Motivs, deutlicher gesagt, in den völlig entgrenzten Bildinhalten.
Offensichtlich besteht – jenseits der von jeher vielfältigen Funktionen von Bildern in der Alltagswelt, institutionellen oder auch herrschaftsfunktionalen Zusam- menhängen – so etwas wie ein menschliches Grundbedürfnis nach Bildern. Als wesentlichster Antrieb dürfte dem zugrundeliegen, daß die psychisch generierten inneren Bilder, soweit diese emotional stärker besetzt sind, auf ihre Verobjektivierung in realen Bildern hinwirken. Dieses Geschehen ist dabei zugleich in einen sozial-reziproken Prozess eingebunden, in welchem Bildangebote, Bildrezeption und -selektion eine entscheidende Rolle spielen. In heutiger Zeit erleben wir geradezu eine Inflation von Bildofferten, sodaß man geradezu von einer Allgegenwärtigkeit von Bildern im subjektiven Wahrnehmungshorizont sprechen kann. Diese, seit den Anfangszeiten von Fotografie und Film sich ständig steigernde und mit den neu hinzugekommenen Bildmedien weiter beschleunigende Omnipräsenz von Bildern bildet natürlich auch den Hauptanlaß für die Neu- orientierung im Bereich der Medienphilosophie, für die „Wende“ vom Linguistic Turn zum Iconic Turn (Imagic- / Visualistic-/ Pictorial-Turn – welche für jeweils unterschiedliche Konzepte der reflektorischen Beschäftigung mit dem Phänomen Bild stehen). Die Inflation der Bilder, in der realen Welt und im virtuellen Raum, drängt natürlich auch Künstler, soweit sie weiterhin das Thema Bild verfolgen, hierauf zu reagieren und in ihrer Arbeit technisch wie inhaltlich mit der beschriebenen Situation kreativ zu korrespondieren. Von besonderem Interesse ist dabei aus künstlerischer und kunstgeschichtlicher Sicht natürlich auch, welche innovativen Lösungen hier dann gefunden werden in Hinblick darauf , daß dabei immer auch die innovative Erweiterung des etablierten Bestands künstlerischer Positionen im Fokus steht. Als herausragende Künstler in diesem Sinne sehe ich z.B. Bill Viola und Jeff Wall, aber auch medial traditionell verfahrende Künstler wie Gerhard Richter und Albert Oehlen, die das Potenzial von Malerei neu ausloten. In diesem, soweit mal angedeuteten Rahmen verorte ich auch meine Bilder bzw. mein Bildermachen.
Dabei stellt sich mir, ausgehend von der Frage: was kann und will ich mit meinen Bildern bewirken, auch grundlegend die Frage: was können oder sollten Bilder überhaupt bewirken, sofern sie keiner gesellschaftlich dirigierten Funktion mehr unterliegen? Diese Frage stellte sich ja – wenn auch zunächst von Literaten ausgehend – schon im 19.Jhdt und führte zum Konzept der L`art pour l`art und ja – im wesentlichen funktioniert die Kunst, wo man sie läßt, seither in diesem Sinne. Dies bedeutet allerdings nicht, daß sie nur noch in sich selbst rotierte ohne ge- sellschaftliche etc. Aspekte zu reflektieren. Das Entscheidende seinerzeit war die Freisetzung des Künstlers, d.h. die Freiheit in seinem Werk ganz allein von sich aus eine Auseinandersetzung mit der Realität im weitesten Sinne in Gang und dabei nach Belieben Schwerpunkte zu setzen, was Form und Inhalt angeht. Der Künstler schafft seither mit seinem Werk einen Katalysator, über welchen die Gesellschaft sich selbst und die Welt neu erfahren kann und diese Vorstellung bewegt auch mich bei meiner Arbeit.
Was tue ich? Ich greife, meiner Intuition folgend, Bilder aus dem Netz ab, Bilder, in denen sich die Realiät spiegelt und forme daraus neue Spiegel, Spiegelbider = mirror images. Dabei gefällt mir die Vorstellung mit den Bildern in einem Geschehen mitzuspielen, welches man im weiten Sinne als Spiegelkabinett be- zeichnen könnte und das keinen Anfang und kein Ende hat: jedes Ding, jeder Gedanke, jedes lebende Wesen wie auch jede Situation spiegelt in sich die eigenen Ursachen wider und zeigt sich somit unendlich gesättigt durch die Inhalte einer Seinskette, die gleichermaßen real wie letztlich unerschließbar ist. Dieser dia- chronen oder vertikalen Kette von Spiegelungen steht eine synchron-multilaterale gegenüber, in welcher ein aktives Spiegelungsgeschehen aller Dinge und Wesen untereinander stattfindet, und dieses meine ich, wenn ich hier von Spiegelkabinett spreche: ein Spiegelkabinett, in welchem unendlich viele Beteiligte wahrnehmende Subjekte und Spiegel zugleich sind. Mag das Motiv der ursprünglichen frühen Spiegelsäle und -kabinette zu barocken Zeiten zumeist noch gewesen sein, das Prunken mit dem eigenen Besitz auf die Spitze zu treiben, so war dem doch auch schon damals ein psychologisierendes Moment beigemischt: Vervielfältigung der Dinge und Personen im Spiegelbild, optische Täuschung, der Hang zum Spiel mit der Vorstellung das eigene Ich in Frage zu stellen und zur genußvoll-verwunderten Re- flexion zu animieren. Und diese letztgenannten Intentionen sind Motive die mich auch bei meiner Artbeit bewegen.
Das Spiegelungsgeschehen an sich, ließe sich sagen, besteht aus drei Elementen: dem Spiegel (hier Bild), dem Gespiegelten (Bildinhalt) und dann demjenigen, der in den Spiegel blickt (wahrnehmendes Bewußtsein/ Bildbetrachter). Und der dritte Faktor, das Bewußtsein, ist natürlich das Movens, an dem der ganze Vorgang hängt. Der Wert der Spiegelung, welche durch das wahrnehmende Bewußtsein geschieht, besteht nun in einer hierdurch geschaffenen Generierung von neuem Sinn, und genau darauf ziele ich mit meinen Bildern: Sinn – ausgelöst durch Bilderfahrung. Und so betrachtet sehe ich meine Bilder quasi als hermeneutische Generatoren, als philosophische Assoziationsmaschinen, an welche die Betrachter mit ihrem eigenen, immer schon bestehenden Spiegelungspotenzial ankoppeln und neuen bzw. eigenen Sinn generieren können. Letztlich geht es dabei also um ein Welt- und Selbstdeuten – ausgelöst durch das initiatorische Potenzial von Bildern.